13.02.2024
Zum weltweit ersten Mal werden im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 2024 alle elf Sinfonien Bruckners im Originalklang zur Aufführung kommen, eine Entdeckungsreise in elf Konzerten, die als Zyklus nur im Brucknerhaus Linz und dort jeweils exklusiv in Österreich zu hören sind.
Die Sinfonien erklingen dabei stets in ihrer Erstfassung, gespielt werden sie von elf der renommiertesten Originalklangorchester Europas unter der Leitung von elf namhaften Dirigenten. Im Interview geben sie Auskunft über ihre Sicht auf Bruckner und darüber, welche Erwartungen sie mit Blick auf dieses besondere Projekt haben.
Am 21. September präsentiert Das Neue Orchester unter der Leitung von Christoph Spering Anton Bruckners Sinfonie Nr. 1 c-moll, WAB 101 (1865-66) „Linzer Fassung“ sowie Werke von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms.
Jan David Schmitz: Wieso eigentlich Bruckner im Originalklang?
Christoph Spering: Je weiter die sogenannte Alte- Musik-Bewegung in der Musikgeschichte voranschreitet, umso geringer fallen die Unterschiede zur modernen Aufführungspraxis aus, denn im 19. Jahrhundert nahm die technische Entwicklung der In- strumente den rasantesten Fortschritt. Die Musikergenerationen des 20. Jahrhunderts waren stolz darauf, die Romantiker mit ihren brillanten Spieltechniken und sattem Pathos wiedergeben zu können. Es war für sie jedoch ein Blick zurück, sozusagen aus der Zukunft, und damit letztlich eine Verfremdung von dem, was Anton Bruckner erlebte, der sicherlich sehr innovativ war, aber keine Glaskugel hatte. Seine Kompositionstechniken orientieren sich auf mitunter archaische Weise an den Vorbildern der Musikgeschichte – auch klanglich.
JDS: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen der Aufführung einer Bruckner-Sinfonie auf historischen im Vergleich zu modernen Instrumenten?
CS: Auf historischen Instrumenten kann und darf man rauere und schroffere Klänge erzielen. Zudem verschieben sich die Balancen innerhalb des Orchesters, weil die Instrumente des 19. Jahrhunderts nicht, wie man es heute kennt, ein machohaftes Herausbalzen der Töne in allen Lagen zulassen, gleichzeitig aber immer noch regelrechte Naturlaute hervorbringen können. Die von Bruckner eruierten neuen Regionen der Instrumentierung kommen dann eben auch mal näselnd oder geräuschvoll daher.
JDS: Weshalb hat die historische Aufführungspraxis gerade um Bruckners Sinfonien so lange einen großen Bogen gemacht?
CS: Wir sind von Veranstaltern, Produzenten und natürlich vom Publikum abhängig und da gibt es manchmal leider wenig Offenheit gegenüber ungewohnten Klängen. Was bei Johann Sebastian Bach oder Ludwig van Beethoven noch als spannend und unerhört aufregend im positiven Sinne wahrgenommen wird, darüber rümpft man, wenn es um Werke im „romantischen Schönklang“ geht, nicht selten die Nase. Es fehlt noch ein bisschen das Gefühl dafür, dass auch hier eine Fahrt mit ‚Oldtimern‘ vielleicht mehr, vor allem aber anderes zu bieten hat als der Trip mit einer technisch hochgerüsteten Limousine.
JDS: Wie wird der Einsatz des historischen Instrumentariums unser Bruckner-Bild verändern?
CS: Ich denke, dass es hierbei nicht um eine Veränderung der Hör- und Spielgewohnheiten gehen kann, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten bei der Barockmusik vollzogen hat. Wenn wir von Musik des 19. Jahrhunderts und damit auch derjenigen Bruckners sprechen, so werden die Orchester diese auch in Zukunft auf denselben Instrumenten spielen wie die Musik davor und danach und das ist auch völlig in Ordnung. Mir geht es darum, einer Partitur Dinge zu entlocken, die man sonst so nicht wahrnimmt.
JDS: Warum die ‚Erste‘ in der „Linzer Fassung“? Was fasziniert Sie an diesem Werk?
CS: Als ‚Ausgräber‘, der in den letzten 40 Jahren zahlreiche Werke einem Dornröschenschlaf entrissen und oftmals deren erste neuzeitliche Aufführung initiiert hat, kann mich die Urfassung eines Repertoirestücks, wie es die „Linzer Fassung“ von Bruckners ‚Erster‘ ist, nicht kaltlassen. Besonders interessant ist dabei die Quellenlage und da sind wir in der glücklichen Situation, aus einer Neuausgabe spielen zu können, die erstmals auf dem Stimmenmaterial der Uraufführung vom 9. Mai 1868 basiert.