14.05.2024
Zum weltweit ersten Mal werden im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 2024 alle elf Sinfonien Bruckners im Originalklang zur Aufführung kommen, eine Entdeckungsreise in elf Konzerten, die als Zyklus nur im Brucknerhaus Linz und dort jeweils exklusiv in Österreich zu hören sind.
Die Sinfonien erklingen dabei stets in ihrer Erstfassung, gespielt werden sie von elf der renommiertesten Originalklangorchester Europas unter der Leitung von elf namhaften Dirigenten. Im Interview geben sie Auskunft über ihre Sicht auf Bruckner und darüber, welche Erwartungen sie mit Blick auf dieses besondere Projekt haben.
Am 10. Oktober präsentiert Les Siècles unter der Leitung von Jakob Lehmann Anton Bruckners Sinfonie Nr. 9 d-moll, WAB 109 (1887–94) sowie Werke von Wolfgang Amadé Mozart.
Jan David Schmitz: Wieso eigentlich Bruckner im Originalklang?
Jakob Lehmann: Bruckner ist ein Komponist, der so fest in unserem Konzertleben verankert ist, dass man seine Präsenz als selbstverständlich ansieht: Damit einher geht, dass die Art und Weise, wie seine Werke aufgeführt werden, kaum infrage gestellt wird, da hier vermeintlich eine ungebrochene Aufführungstradition vorliegt. Fakt ist jedoch, dass sich natürlich auch und vielleicht gerade bei Bruckner viele entscheidende Dinge in der Spielweise und ebenso in der Wahrnehmung seiner Werke verändert haben, was es lohnend erscheinen lässt, sie aus dem Blickwinkel der historischen Aufführungspraxis neu zu beleuchten.
JDS: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen der Aufführung einer Bruckner-Sinfonie auf historischen im Vergleich zu modernen Instrumenten?
JL: Zum einen ist da natürlich das Instrumentarium selbst: Die in Wien zu Bruckners Zeit gebräuchlichen Instrumente unterscheiden sich in vielen Charakteristika sehr von ihren modernen Gegenstücken; nicht zuletzt ist das Klangbild weniger durchdringend, aber dennoch imposant, gleichzeitig enorm farbenreich, transparent, schillernd und in leiseren Passagen geradezu verführerisch. Zum anderen ist es aber auch die Art, wie man auf den Instrumenten spielt – gerade bei Bruckner sind etwa die Tempi in den letzten 100 Jahren fast durchgehend langsamer und weniger flexibel geworden. Dazu kommen Stilmittel wie das Portamento bei den Streichern oder der Einsatz des Rubatos in solistischen Bläserpassagen, die mit der Zeit immer weniger benutzt wurden, alles Techniken, die wir nun zurückbringen, um diese Musik von ihrem Klischee des Monumentalen und Massigen zu befreien und aufzuzeigen, wie vielschichtig und sinnlich sie sein kann.
JDS: Weshalb hat die historische Aufführungspraxis gerade um Bruckners Sinfonien so lange einen großen Bogen gemacht?
JL: Ich denke, dass dies einerseits an der bereits erwähnten scheinbar ungebrochenen Aufführungstradition liegt, die suggeriert, dass eine solche Neubewertung gar nicht notwendig ist, andererseits aber sicherlich auch an ökonomischen Aspekten: Eine Bruckner-Besetzung ist schlichtweg viel größer als das, was die freien Ensembles der „Alte Musik“-Szene normalerweise stemmen können. Umso großartiger, dass es Initiativen wie diesen Linzer Zyklus gibt, welche die flächendeckende Beschäftigung dieser Orchester mit Bruckner überhaupt erst möglich machen.
JDS: Wie wird der Einsatz des historischen Instrumentariums unser Bruckner-Bild verändern?
JL: Ich hoffe, dass wir in Bruckner einmal mehr den kontrastreichen, dramatischen, aufregenden Komponisten wiedererkennen, der elf unverwechselbare und einmalige Sinfonien geschrieben hat, die es verdient haben, in einem neuen „alten“ Licht betrachtet zu werden.